In diesem Beitrag wird versucht, die Thesen von "Kafka. Fur eine kleine Literatur" vom Standpunkt des deterritorialisierenden Schreibens aus darzulegen und Kafkas Schreiben im Hinblick auf die Kunst-Philosophie von Deleuze und Guattari zu betrachten. In "Kafka" heben Deleuze und Guattari die gesellschaftsbezogenen und realistischen Aspekte der Literatur Kafkas hervor. Sie interessieren sich dafur, wie Kafka das reprasentative Sprachsystem und den ideologischen Code demontiert. Sie kritisieren die Interpretationen, die den Widerspruch zwischen dem Schreiben und dem Leben bei Kafka behaupten. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die positive Einstellung zum Leben und die Produktivitat des Verlangens bei Kafka. Fur sie ist Kafka ein politischer Autor, Kunstler der kommenden Welt, da er die doppelte Bewegung, d. h. die einer Burokratie mit großer Zukunft und die eines fluchtenden Nomaden in einer ganz neuen Verkettung zusammenzuschließen versteht. Kafkas Schreiben deterritorialisiert das Gesetz und das System. In der Literatur Kafkas lesen Deleuze und Guattari also eine Mikro-Politik, Politik des Verlangens. In "Kafka" betrachten Deleuze und Guattari Kafkasche Schreib-Maschine als eine antiodipale, das Gesetz demontierende und das Zeichensystem deterritorialisierende Sprachmaschine. Sie finden die komische Vergroßerung des Odipus im "Brief an den Vater" heraus, die nicht nur die Unterdruckung, sondern auch die Fluchtlinien enthullt. Kafka versucht, den odipalen Familialismus durch das Tier-Werden in seinen Erzahlungen und durch das Distanz-Halten in seinen Briefen zu deterritorialisieren. Das ist ihm jedoch nur zum Teil gelungen. Andererseits wollte Kafka in semen Romanen Aussageverkettungen und maschinelle Aggregate freilegen und diese dann demontieren. Deleuze und Guattari stellen die Annahme einer Transzendenz des Gesetzes in Frage und behaupten, das Gesetz hat keinen Inhalt, sondern es ist eine reine Form. Uberdies finden sie die Koexistenz der beiden Zustande des Verlangens, des Gesetzes und der Bewegungen heraus, namlich die des transzendenten Paranoia-Gesetzes und des immanenten Schizo-Gesetzes, die der Reterritorialisierung und der Deterritorialisierung. Mit dieser Koexistenz versucht Kafka, die polyvoken Elemente des Verlangens herauszufiltern, damit er die Verkettungen freilegen und das Gesetz demontieren kann. Die Verkettungen des polyvoken Verlangens schieben den Prozess des Romans immer auf und bilden die Immanenz als standig Werdendes und nicht zu abschließendes. Daruber hinaus stellen Deleuze und Guattari Kafkas Schreiben als "eine kleine Literatur" dar, d. h. "die [Literatur] einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient." Die kleine Literatur ist besonders durch die Deterritorialisierung der Sprache gekennzeichnet. Kafka nimmt das papierene Pragerdeutsch, wie es ist, und treibt die Deterritorialisierung weiter voran, indem er dem symbolischen oder bloß signifikanten Gebrauch der Sprache einen rein intensiven Sprachgebrauch entgegenstellt. Die kleine Literatur demontiert die Muttersprache und damit schafft eine syntaktisch neue Sprache, die sich in der Intensitat zu einem Jenseits der Sprache, dem Schweigen bewegt. Fur Deleuze und Guattari bedeutet die Kunst eine Revolution, die unsere Denkweise von Grund aus andern kann, weil die unpersonliche Anonymitat der Kunst die metaphysische traditionelle Voraussetzung des Subjektivitatssystems zerstort und uns aus den Meinungen (Doxa) befreit. Und das deterritorialisierende Schreiben Kafkas destruiert den Begriff des Subjektes und befreit die Kunstsprache aus dem Signifikanten und dem Zeichensystem, damit sich unseres Denken aus den fixen Meinungen heraus nach Außen offnen kann. Und in der Kunstphilosophie von Deleuze und Guattari stehen Denken und Schreiben, Philosophie und Kunst in der paradoxen Beziehung. Fur sie ist das Denken auch das des Nicht-Gedachtes, und die Philosophie soll das Unphilosophisch-Werden sein. Sie meinen, diese Entgrenzung zwischen Denken und Leben, Philosophie und Kunst kann besonders in den literarischen Texten grundlich dargestellt werden. Von ihrem Standpunkt aus ist Kafkas Schreiben das des vielfaltigen Werdens, des schizophrenen Ausflusses und des Offnens. Wenn die revolutionare Praxis, wie Deleuze und Guattari behaupten, nur mit der dem Zeichen system entgehenden, deterritorialisierenden Kritik realisiert werden kann, ist das moglich gerade in Kafkas Schreiben, das an der Grenze zwischen der realistischen Kritik und dem Asthetizismus auf dem Seil tanzt.